- Schnelldurchlauf
- "Wie viele Kinder nahm Gott mit in die Arche?"
- Sexueller Kindesmissbrauch
- Untersuchung durch die Royal Commission
- Die Zwei-Zeugen-Regel
- Das Ältestenbuch
- "Gerichtsfälle unter Brüdern"
- Abschlussbericht der Case study 29
- Case study 54
- "Einzelfall"?
- Engpass?
- Der Austritt
- Ein Wiedersehen?
- Ein Leben danach
- Epilog
Engpass?
In den letzten Jahren ist vieles angestoßen worden, was der WTG in Zukunft erhebliche Probleme bereiten könnte. Der Umgang mit Missbrauchsfällen unter Zeugen Jehovas, welcher nun weltweit immer mehr Aufmerksamkeit erhält und durch staatliche Kommissionen aufgedeckt wird, könnte zu Entschädigungszahlungen von ungeahnten Ausmaßen führen.
Ob die aktuelle Sparpolitik der WTG etwas mit den weltweiten Missbrauchsvorwürfen zu tun hat, kann ich nicht beurteilen. Meiner Meinung nach kann es da durchaus einen gewissen Zusammenhang geben. Die momentanen Umstrukturierungen der WTG sind aber unabhängig von dieser These interessant genug, um diese einmal näher zu betrachten.
Es ist noch nicht allzu lange her, da erschienen der Wachtturm sowie die Zeitschrift Erwachet! mit zusammen 128 Seiten monatlich. Die Anzahl der Seiten hat sich mittlerweile halbiert, und die Zeitschriften erscheinen nur noch alle zwei Monate vierteljährlich im Wechsel.
Eine andere interessante Entwicklung betrifft die aktuelle Entlassungswelle unter Zeugen Jehovas. Am 11. Oktober 2015 erhielten alle Sonderpioniere einen Brief von ihrem jeweiligen Zweigbüro.
In dem Brief hieß es:
Kürzlich erhielten wir von der Leitenden Körperschaft Anweisungen, die eine weltweite Umstrukturierung in nahezu jedem Bereich des Werkes zur Folge haben. Unter anderem ist auch der Einsatz der Sonderpioniere betroffen, weswegen bereits schon einige Sonderpioniere gebeten wurden, ihren Dienst als allgemeine Pioniere fortzusetzen.
Brief vom 11. Oktober 2015, Reduzierung der Anzahl der Sonderpioniere
Allgemeine Pioniere müssen sich im Gegensatz zu Sonderpionieren selbst versorgen. Es handelt sich hierbei anscheinend um Einsparungen seitens der WTG.
Dieses Schicksal traf auch rund 5.500 Mitarbeiter in den weltweiten Zentralen. Im Jahrbuch 2017 der Zeugen Jehovas heißt es zu Beginn des Kapitels Das Predigtwerk hat Vorrang:
AM Mittwoch, den 23. September 2015 informierte die leitende Körperschaft die weltweite Bethelfamilie über eine Reihe organisatorischer Veränderungen, die nötig waren, damit die Spendengelder so gut wie möglich verwendet werden können. […] In der Folge haben seit September 2015 etwa 5 500 Brüder und Schwestern das Bethel verlassen. Diese Veränderungen erforderten zwar große Anpassungen. Doch Jehovas Segen ist nicht zu übersehen.
Jahrbuch der Zeugen Jehovas 2017: Das Predigtwerk hat Vorrang
Ganz nebenbei finde ich die Formulierung „haben […] 5 500 Brüder und Schwestern das Bethel verlassen„ interessant. Diese Menschen haben ihr Zuhause sicher nicht freiwillig verlassen, sondern wurden augenscheinlich entlassen. Jahrelang, vielleicht sogar Jahrzehnte haben viele Zeugen Jehovas freiwillig in den Zweigstellen der WTG oder als Sonderpioniere gearbeitet und dadurch weder in eine Rentenversicherung eingezahlt noch hatten sie das Geld, um private Rücklagen zu bilden. Zudem sind sie seit vielen Jahren aus dem Arbeitsleben raus. Wenn man bereits im fortgeschrittenen Alter ist, dann hat man, spätestens ab diesem Zeitpunkt, erhebliche Probleme. Ein ehemaliger Sonderpionier hat stellvertretend seiner Enttäuschung in einem Brief an die Zweigstelle Luft gemacht:
Ich stehe in meinem Alter als Ungelernter vor dem Nichts. […] Ja, diese Entscheidung kommt, wie ihr richtig vermutet, für mich unerwartet, und ich glaube nicht mehr, dass die Leitende Körperschaft und das Zweigbüro meine Opferbereitschaft wirklich schätzten.
Ehemaliger Sonderpionier
Obwohl die gedruckten Publikationen zurückgefahren werden, die Sonderpioniere und Mitarbeiter in den Zentralen drastisch reduziert werden, wird dennoch der Druck bezüglich der Spenden erhöht.
In einer Ausgabe von JW Broadcasting (Online-TV-Format von Zeugen Jehovas) im Mai 2015, moderiert von Stephen Lett (Mitglied der Leitenden Körperschaft), wurde wortwörtlich gesagt:
[…] Aus dieser Analyse geht hervor, dass wesentlich mehr Ausgaben auf uns zukommen, als wir durch Spenden einnehmen werden.
JW Broadcasting Mai 2015, ab 15:04
Zu Beginn der TV-Ausgabe wurde Sprüche 3:9 vorgelesen: „Ehre Jehova mit deinen wertvollen Dingen und mit den Erstlingen deines ganzen Ertrages.“
Im Nachgang erklärte Lett, dass es sich bei den wertvollen Dingen um Zeit, Geld und Besitz handeln würde. Mit diesen Dingen könne man die Organisation unterstützen – WTG.
Stephen Lett führte weiter aus: „Wir würden niemandem eine Aufforderung schicken, auf der stünde, wie viel er monatlich für das weltweite Werk spenden soll.“
Da hat er recht. Das wird ganz anders gemacht. Ich erinnere mich an eine Versammlung (es müsste 2014 gewesen sein), in der jeder gebeten wurde, auf einen Zettel zu schreiben, wie viel er monatlich spenden kann. Begründet wurde dies damit, dass die Organisation dadurch besser kalkulieren könne, wie viel monatlich in Zukunft an Spenden zusammen kommt, um die weltweiten Baumaßnahmen durchzuführen. „Einen Moment“, mag der gewiefte Leser denken, „seit Jahrzehnten haben Zeugen Jehovas monatliche Aufzeichnungen über das Spendenverhalten einer jeden Versammlung vorliegen“. Ja , richtig. Und aus diesen Statistiken müsste eigentlich klar ersichtlich sein, mit welchen Einnahmen die Organisation rechnen kann.
Das Einzige, was aus meiner Sicht erreicht wurde, ist die innerliche Verpflichtung auf unbestimmte Zeit, monatlich dem nachzukommen, was man versprochen hat.
2016 wurde während einer Versammlung darauf hingewiesen, dass es eine Diskrepanz gebe zwischen dem, was damals per Zettel angegeben worden war und dem, was tatsächlich monatlich gespendet wurde. Daher wurde angekündigt, dass die Aktion wiederholt werde und jeder nochmal über seine Möglichkeiten zu Spenden nachdenken sollte.
Stephen Lett führte in der Sendung weiter aus, dass in Zukunft für den Bau von Königreichssälen mehr Mittel benötigt werden. Auch in dem Brief vom 29. März 2014 an alle Versammlungen hieß es: „Der Bedarf an Kongress- und Königreichssälen ist größer als je zuvor. Gegenwärtig werden weltweit über 13 000 Königreichssäle und 35 Kongresssäle benötigt.“ (Stand März 2014).
Schauen wir uns die weltweite Entwicklung der Versammlungen näher an:
Wenn wir das nun mit dem weltweiten Wachstum vergleichen, stellt sich die Frage, wie der Bedarf von aktuell 13.000 Immobilien gerechtfertigt wird.
Zudem muss man bedenken, dass die dargestellte Entwicklung der Versammlungen auf Gemeinden bezogen ist und nicht auf Immobilien. Im Schnitt kommen rund 2 bis 3 Versammlungen in einem Königreichssaal unter. In Berlin liegt der Schnitt sogar bei 5,2. Warum mit einem Mal dieser enorme Bedarf, wenn das Wachstum und die Anzahl der Versammlungen eher unauffällig sind?
Eigentlich dürfte es an finanziellen Mitteln für Bauprojekte nicht fehlen. Denn durch den Umzug der Weltzentrale der WTG von Brooklyn nach Warwick wurden augenscheinlich enorme Gewinne erwirtschaftet.
Jahrzehntelang befand sich die Hauptzentrale der WTG in Brooklyn (New York). Darunter zählten rund 40 Immobilien in Brooklyn Heights.
Viele dieser Immobilien wurden bereits verkauft. Eigens für den Verkauf wurde eine eigene Immobilienagentur gegründet, die Watchtower Brooklyn Real Estate – https://www.watchtowerbrooklynrealestate.com/.
Auf deren Webseite bekommt man einen kleinen Eindruck, wie wertvoll der Immobilienbesitz der WTG in New York ist. Nur nebenbei erwähnt wird auch in London mittlerweile fleißig verkauft – http://ibsaproperty.com/.
Die neue Hauptzentrale wurde in Warwick (New York) errichtet. Laut der New York Post hat der Neubau rund 11,5 Millionen US-Dollar gekostet.
Die Personalkosten waren sicherlich überschaubar. Denn wie bei Königreichssälen und Kongresssälen wurde auch die Weltzentrale mithilfe von freiwilligen Helfern (Zeugen Jehovas) aus der ganzen Welt errichtet – WTG.
Der Immobilienbesitz in Brooklyn wurde Stück für Stück veräußert. Der Gewinn kann sich sehen lassen:
Unterm Strich macht das 804,375 Mio. USD – WELT, New York Post
2016 hat die WTG bekannt gegeben, dass nun auch das Hauptgebäude mit dem von der Brooklyn Bridge nicht übersehbaren Schriftzug Watchtower verkauft wurde. Käufer war der Schwiegersohn von Donald Trump, Jared Kushner.
Laut Schätzungen von Experten lag der Verkaufspreis der Hauptgebäude bei rund 1 Milliarde US Dollar.
Gebaut haben Zeugen Jehovas schon immer. Gedruckt wurde auch schon immer. Warum heißt es dann seitens der WTG, dass „wesentlich mehr Ausgaben auf uns zukommen, als wir durch Spenden einnehmen werden“?
Die Hinweise häufen sich, dass eine Vielzahl von Gerichtsprozessen auf die WTG zukommen kann, die enorme Entschädigungszahlungen nach sich ziehen könnten. In den USA und Großbritannien haben allein drei Fälle von Kindesmissbrauch Millionen an Entschädigungszahlungen nach sich gezogen. Von den Vergleichszahlungen ganz zu schweigen. Auch die Fälle in Australien (bisher 1.800 dokumentierte Opfer) werden finanziell sicherlich nicht ohne Folgen bleiben. Richter McClellan, der die Anhörungen zur Case study 29 in Australien führte, machte Geoffrey Jackson darauf aufmerksam, dass die Kommission ein Entschädigungsprogramm für Missbrauchsopfer erwägt. Daraufhin fragte Richter McClellan, ob Zeugen Jehovas sich daran beteiligen und mit anderen Institutionen kooperieren würden. Eine direkte Zusage gab es nicht. Zunächst müsse geprüft werden, ob biblisch nichts dagegen spräche, so Geoffrey Jackson.