- Schnelldurchlauf
- "Wie viele Kinder nahm Gott mit in die Arche?"
- Sexueller Kindesmissbrauch
- Untersuchung durch die Royal Commission
- Die Zwei-Zeugen-Regel
- Das Ältestenbuch
- "Gerichtsfälle unter Brüdern"
- Abschlussbericht der Case study 29
- Case study 54
- "Einzelfall"?
- Engpass?
- Der Austritt
- Ein Wiedersehen?
- Ein Leben danach
- Epilog
Untersuchung durch die Royal Commission
Im bereits erwähnten Wikpedia-Artikel über die Royal Commission findest du den Link zur Internetseite: https://www.childabuseroyalcommission.gov.au.
Unter Public Hearings > Case studies findest du alle bisher durchgeführten Anhörungen, die im September 2013 begannen. Die Case studies 29 sowie 54 widmen sich den Zeugen Jehovas. Ich würde dich gerne zur ersten Studie mitnehmen.
Zu Beginn heißt es auf der Webseite:
The Royal Commission held a public hearing in Sydney from Monday 27 July and recommenced Friday 14 August 2015. The public hearing inquired into the Jehovah’s Witnesses and Watchtower Bible and Tract Society of Australia Ltd.
https://www.childabuseroyalcommission.gov.au/case-study/636f01a5-50db-4b59-a35e-a24ae07fb0ad/case-study-29,-july-2015,-sydney.aspxe
Wie du ebenfalls unter der Überschrift Transcripts erkennen kannst, fanden die öffentlichen Anhörungen vom 27. Juli bis zum 14. August 2015 statt, bei denen unterschiedliche Zeugen (allg. Begriff) ihre Aussagen machten. Die Zeugenliste kann ebenfalls auf der Webseite der Case study 29 eingesehen werden.
Am letzten Tag der Anhörungen wurde Geoffrey W. Jackson angehört (14. August 2015). Geoffrey W. Jackson ist aktuell Mitglied der „Leitenden Körperschaft“ der Zeugen Jehovas.
Die Anhörung begann um 10 Uhr vor dem Richter Peter McClellan sowie Commissioner Professor Helen Milroy. Der Anklagevertreter, der die Anhörung vornahm, war Angus Stewart SC.
Das Transcript (Wort für Wort Übertragung) kannst du auf der Webseite herunterladen: Transcript (Day 155): 14 August. Die Anhörung war öffentlich und wurde auch auf Video aufgezeichnet.
Bei der Anhörung wurden zur Beweisführung unter anderem die Neue Welt Übersetzung der Heiligen Schrift, die Anleitung für Zweigstellen (Branch Organisation January 2015) sowie die Anleitung für Älteste einer Versammlung (Hütet die Herde Gottes 2010) verwendet.
Zu Beginn der Anhörung überprüfte Anklagevertreter A. Stewart die personenbezogenen Daten von Geoffrey Jackson, seinen Werdegang bei den Zeugen Jehovas, seine Funktion innerhalb der WTG sowie die Aufgaben, die die „Leitende Körperschaft“ inne hat.
Anschließend wurde zunächst das Thema Die Rolle der Frau innerhalb der Organisation behandelt. Es wurde auf den Konflikt beziehungsweise die Gefühle einer Frau eingegangen, die von einem Zeugen Jehovas vergewaltigt wurde. In einem solchen Fall müsste sich die Frau zunächst einem Ältesten aus der Versammlung anvertrauen. Im Anschluss würden zwei Älteste (Männer) den Fall näher untersuchen und gegebenenfalls ein Rechtskomitee einberufen. Die Frau müsste vor den Männern die Einzelheiten, die zur Tat führten, offen legen und unter Umständen auch die Einzelheiten der Tat selbst beschreiben. Zusätzlich könnte sie dabei mit ihrem Peiniger konfrontiert werden.
Der Richter fragte daraufhin Geoffrey Jackson, ob er nachempfinden könne, wie sich wohl eine Frau fühlen mag, die in solch eine Lage gebracht wird (Seite 27, ab Zeile 46). Jackson versuchte in mehreren Anläufen einer direkten Antwort auszuweichen. Zwischenzeitlich machte ihn der Richter darauf aufmerksam, dass er immer nur aus der Perspektive des Täters argumentieren würde, nicht der des Opfers. Daraufhin wiederholte Richter McClellan seine Frage, ob Jackson bewusst wäre, wie schwer es einer Frau fallen mag, sich vor Männern zu äußern, um über die Tat zu sprechen. Geoffrey Jackson wies darauf hin, dass er gar keine Frau ist und nicht in ihrem Namen sprechen möchte („Obviously I’m not a woman …“)?!
Das wirkt auf mich sehr verstörend. Jeder vernunftbegabte und ehrbare Mann kann sich zumindest annähernd vorstellen, wie furchtbar es für eine Frau sein muss, solch einer Befragung ausgeliefert zu sein.
Im Anschluss machte Anklagevertreter Stewart Geoffrey Jackson darauf aufmerksam, dass in den letzten Wochen Informationen aufgetaucht sind, die aufzeigen, dass es eine gängige Praxis bei Zeugen Jehovas gibt, die besagt, dass sexueller Kindesmissbrauch nicht den Behörden gemeldet werden würde, ausgenommen bei Bestehen einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung (Seite 36, ab Zeile 46).
Anklagevertreter A. Stewart fragte ganz konkret (Seite 37, ab Zeile 11):
Gibt es eine biblische Grundlage dafür, dass Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht den Behörden gemeldet werden sollten, sofern dies gesetzlich nicht vorgeschrieben ist?
Geoffrey Jackson antwortete mit Sprüche 25:8-10:
8 Geh nicht hinaus, um übereilt einen Rechtsfall zu führen, damit es nicht fraglich wird, was du auf seinem Höhepunkt tun wirst,
wenn dein Mitmensch dich dann demütigt. 9 Führe deine eigene Rechtssache mit deinem Mitmenschen, und offenbare nicht das vertrauliche Gespräch eines anderen […].
Sprüche 25:8-9
Anklagevertreter Stewart führte daraufhin ein Beispiel an, bei dem ein Kind den Ältesten mitteilt, dass es vom eigenen Vater sexuell missbraucht worden ist (Seite 38, Zeile 30).
Wenn sich nun herausstellt, dass es sich tatsächlich so zugetragen hat, würden Sie meinen, dass die anderen Kinder in der Familie einem Risiko ausgesetzt sind?
Das ist korrekt!
Und wenn man nun nicht an die Behörden berichtet, ist es dann nicht so, dass Sie die Vertraulichkeit desjenigen, der berichtet hat, als wichtiger ansehen, als diejenigen zu schützen, die noch gefährdet sind?
Geoffrey Jackson war der Meinung, dass es in diesem Fall das Beste wäre, wenn die Ältesten dem Erziehungsberechtigten des Kindes empfehlen würden, eine Meldung bei den Behörden zu machen. Diese Anweisung findet man allerdings vergeblich in den offiziellen Anleitungen für Älteste.
Daraufhin fragte Anklagevertreter Stewart, ob es eine Möglichkeit gibt, in den Publikationen von Zeugen Jehovas eine Regel einzuführen, die besagt, dass in Fällen, bei denen Kinder der Gefahr des sexuellen Missbrauchs ausgesetzt sind, eine Meldung an die Behörden erfolgen muss (Seite 39, ab Zeile 6).
Die Möglichkeit besteht, dass wir das prüfen. […] Aber der Punkt ist der, den ich versuche Ihnen zu erklären Mr Stewart, es gibt andere Bibelstellen, die das vielleicht etwas kompliziert machen könnten. Und es wäre sicherlich viel einfacher, wenn wir es vorgeschrieben bekommen.
An dieser Stelle bin ich ins Grübeln gekommen. Zeugen Jehovas vertreten die Ansicht, dass sie den Gesetzen des Staates nur so lange gehorchen, wie aus biblischer Sicht nichts dagegen spricht.
Genau wie die frühchristlichen Nachfolger Jesu ordnen sich Jehovas Zeugen bedingt den regierenden ‚obrigkeitlichen Gewalten‘ unter (Römer 13:1-7). Kommt es zu einem Konflikt zwischen einer Forderung von Menschen und dem Willen Gottes, nehmen sie folgenden Standpunkt ein: ‚Wir müssen Gott, dem Herrscher, mehr gehorchen als den Menschen‘.
Wachtturm, 15. Juli 2002, S. 23-24
Beispielsweise wurden Zeugen Jehovas in der DDR eingesperrt, weil sie den Wehrdienst verweigert haben, da dies mit den Gesetzen der Bibel nicht übereinstimme. Und nun bittet Geoffrey Jackson darum, dass doch von staatlicher Seite aus dafür gesorgt werde, dass Zeugen Jehovas gesetzlich vorgeschrieben bekommen, Kindesmissbrauch den Behörden zu melden, um damit dem Grundsatz der Bibel nicht mehr folgen zu müssen. Geoffrey Jackson erkennt – aus meiner Sicht – hier die Autorität des Staates höher an als die der Bibel.
Bitte verstehe mich nicht falsch, ich bin zu 100% dafür, dass Meldungen an die Behörden gemacht werden. Doch die Aussage von Jackson wirkt auf mich, als würde die WTG ihren Kurs nach außen hin anders darstellen, als sie ihn intern fährt, nur um ihr Image zu wahren.
Anklagevertreter A. Stewart kommt nun zum interessantesten Teil: