Im Jahr 1914 begannen nach Ansicht der Zeugen Jehovas die „letzten Tage“. Im Oktober 1914 wurde Jesus Christus angeblich als König eingesetzt – vorerst nur, um im Himmel zu herrschen. Im Jahr 1919, soll Jesus seine Organisation auf Erden auserwählt haben: Die Zeugen Jehovas.
William Miller
William Miller wurde 1782 in Massachusetts (USA) geboren. Er war ein wohlhabender Mann und diente in der 30. Infanterie als Hauptmann im Britisch-Amerikanischen Krieg von 1812. Im Jahr 1815 kehrte Miller aus dem Krieg zurück nach Hause. Er beschäftigte sich daraufhin sehr viel mit dem Leben nach dem Tod und unternahm Schritte zur Wiedererlangung seines baptistischen Glaubens. Er begann damit, die Bibel Vers für Vers zu untersuchen. Er stellte für sich fest, dass die zweite Gegenwart Christi in biblischen Prophezeiungen offenbart wurde. Seine Berechnungen gründeten sich hauptsächlich auf Daniel 8,14:
Daher sagte er zu mir: „Bis zu zweitausenddreihundert Abenden [und] Morgen; und [die] heilige Stätte wird gewiß in ihren rechten Zustand gebracht werden.“
Daniel 8,14
Miller, und neben ihm auch andere, wandte das Tag-Jahr-Prinzip an, dass ein Tag gemäß der Bibel auch ein buchstäbliches Jahr bedeuten kann. Er war überzeugt, dass demnach die 2.300 Jahre, aus Daniel 8,14, im Jahr 457 v. Chr. angefangen haben zu zählen, als der König von Persien, Artaxerxes I., den Wiederaufbau Jerusalems bewilligte. Er kam mit seinen Berechnungen auf das Jahr 1843 und erklärte:
Ich wurde also … zu der feierlichen Schlussfolgerung gebracht, dass in ungefähr 25 Jahren von dieser Zeit 1818 alle Angelegenheiten unseres gegenwärtigen Staates aufgelöst werden würden.
Wm. Miller’s Apology and Defence. Boston, MS: Joshua V. Himes.
Die Öffentlichkeit überflutete ihn mit Anfragen zu seinen Studienergebnissen. Besucher strömten herbei, um sich mit ihm über seine Thesen auszutauschen. Von 1840 an verwandelte sich der Millerismus von einer „obskuren regionalen Bewegung in eine nationale Kampagne“.
Obwohl sich Miller auf kein genaues Datum festlegte, nannte er seinen Anhängern eine Zeitspanne vom 21. März 1843 bis zum 21. März 1844, an dem „Jesus Christus wieder auf diese Erde kommen wird, um zu reinigen und zu läutern“.
Miller veröffentlichte seine Studienergebnisse auf Papier. Die Abbildungen und Berechnungen sind einem Zeugen Jehovas nicht fremd. Sie kommen in den unterschiedlichsten Publikationen der Wachtturm-Gesellschaft vor.
Der 21. März 1844 verlief ohne Zwischenfall. Die Vorhersagen Miller’s trafen nicht ein. Er sah seinen Fehler darin, dass seine Berechnungen auf der Grundlage des rabbinischen Kalenders durchgeführt wurden und nicht auf der des jüdischen. Er nannte daraufhin ein neues Datum: 18. April 1844. Auch dieses Mal ist nichts geschehen. Miller schrieb daraufhin:
Ich beichte meinen Irrtum und erkenne meine Enttäuschung an; dennoch glaube ich immer noch, dass der Tag des Herrn nahe ist, sogar an der Tür.
Memoirs of William Miller
Ich rechne Miller sein Eingeständnis hoch an. Er suchte den Fehler nicht bei anderen, sondern stand dazu, dass er sich geirrt hatte und hielt sich mit neuen Berechnungen zurück.
Charles Taze Russell
Im Jahr 1852 wurde Charles Taze Russell geboren. Er war Presbyterianer, wandte sich allerdings im Alter von 20 Jahren von seiner Kirche ab, da er deren Lehren anzweifelte. Er verstand nicht, wie ein Gott der Liebe eine ewige Qual für Sünder anordnen könne. Ich würde ihm heute gerne erzählen, dass ich mich von seiner Kirche abgewandt habe, da ich unter anderem einen liebenden Gott nicht mit Strafgerichten vereinbaren konnte.
Mit 17 Jahren kam er mit einigen Anhängern der adventistischen Bewegung in Kontakt, die ihren Anfang bei William Miller nahmen. Sie machten ihn darauf aufmerksam, dass die Bibel, Gottes Plan in Bezug auf die Erde, vorhersagen würde. Er widmete sich von da an einem intensiven Studium der Bibel und gründete in den 1870er Jahren mit Bekannten einen Bibelkreis.
1914 – Das Ende der Heidenzeiten
1876 lernte Russell den Adventisten Nelson H. Barbour kennen. Im Jahr 1877 brachten sie gemeinsam das Buch Three Worlds, and the Harvest of This World heraus und verkündeten anhand komplexer Berechnungen die unsichtbare Wiederkunft Christi im Jahr 1874 sowie das Ende der „Heidenzeiten“ („Sieben Zeiten“) und den Beginn eines goldenen Zeitalters im Jahr 1914. In diesem Jahr sollte Jesus seine Herrschaft über die Erde als König antreten, und die irdische Phase des Reiches Gottes würde beginnen.
Ab 1886 erschienen Russells Schriftstudien die insgesamt sieben Bände umfassten. Der dritte Band war betitelt Dein Königreich komme. In diesem beschrieb er, dass die „Große Drangsal“ vom Jahr 1874 bis zum Jahr 1914 andauern würde – dann sollte Gottes Herrschaft weltweit aufgerichtet sein. Seine Berechnungen stützte Russell nicht nur auf die Bibel. Er widmete sich der Pyramidologie und sah für sich seine Thesen durch die Cheops-Pyramide bestätigt:
Wenn wir also der „ersten aufsteigenden Passage “ hinab bis zu ihrem Vereinigungspunkt mit der „Eingangs-Passage“ messen, so gibt uns das ein festes Datum, um es an der hinabführenden Passage zu markieren. Dieses Maß beträgt 1542 Zoll und gibt das Jahr 1542 v. Chr. als das Datum an jenem Punkt an. Dann, von diesem Punkte an, die „Eingangs-Passage“ hinab messend, um die Entfernung bis zum Eingang des Abgrundes zu finden, der die große Trübsal der Zerstötung darstellt, mit welcher dieses Zeitalter schließen soll, da das Böse von seinem Thron gestoßen sein wird, erfahren wir, daß es 3416 Zoll beträgt, welche 3416 Jahre symbolisieren von dem obigen Datum, 1542 v. Chr., an. Diese Berechnung zeigt das Jahr 1874 n. Chr. an, als den Anfang der Periode der Trübsal markierend; denn 1542 v. Chr. plus 1874 n. Chr., macht 3416 Jahre. So bezeugt die Pyramide, daß der Schluß des Jahres 1874 der chronologische Anfang der Zeit der Trübsal war […]
Watchtower Bible and Tract Society, Charles Taze Russell, Dein Königreich komme,
Schriftstudien Band 4, 1914, S. 327
Spätere Vermessungen im Inneren der Pyramide ergaben allerdings, dass die Maße, die Russell anwandte (er bezog sich auf die Recherchen von Charles Piazzi Smyth), nicht korrekt waren.
So verging, wie wie auch zuvor bei William Miller, das Jahr 1914, ohne dass Russells Vorhersagen eintrafen.
Im siebten Band seiner Schriftstudien, die er nicht mehr persönlich verfasste, heißt es:
Pastor Russells Warnung an die Christenheit kam direkt von Gott […] In allen seinen Warnungen beanspruchte er keine Originalität. Er sagte, daß er seine Bücher niemals selbst geschrieben haben könnte. Alles kam von Gott durch die Erleuchtung des Heiligen Geistes.
Das vollendete Geheimnis (Schriftstudien 7), Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft 1917, S. 34
1914 – Die unsichtbare Wiederkunft
Der siebte Band von Russells Schriftstudien wurde nach seinem Tod von Joseph F. Rutherford veröffentlicht. Rutherford war der Nachfolger Russells und wurde am 6. Januar 1917 aus der Gruppe der Vorstandsmitglieder zum Präsidenten der Watch Tower Society gewählt. Er führte viele organisatorische, und der Lehre betreffende, Veränderungen ein, die die gegenwärtigen Überzeugungen und Praktiken von Zeugen Jehovas mitgeprägt haben. Unter anderem etablierte er das Jahr 1914 als das Datum der unsichtbaren Rückkehr Christi. Er behauptete, dass der Beginn der tausendjährigen Herrschaft unmittelbar bevorstehen würde. Russell hatte zuvor, angeblich von Gottes Geist inspiriert, den Beginn für das Jahr 1878 verkündet.
Außerdem wurde der Beginn der „letzten Tage“ vom Jahr 1799 (Russell) auf das Jahr 1914 vorverlegt.
Das Jahr 1914 wurde seitens der Wachtturm-Gesellschaft mehr als drei Jahrzehnte lang für das Enddatum gehalten. Nach 1914 kennzeichnete es den Startpunkt der Zeitprohezeiungen. Was, wie es Raymond Franz ausdrückte, „den Hauptantrieb der Tätigkeit der Zeugen Jehovas ausmacht.“
Zeugen Jehovas glauben, dass im Jahr 1914 Jesus Christus unsichtbar zu herrschen begann und den Teufel aus dem Himmel auf die Erde verbannte. Von diesem Zeitpunkt an soll der Teufel auf der Erde im vermehrten Maße sein Unwesen treiben. Gerade der erste Weltkrieg, welcher 1914 begann, passt daher ganz gut in das Glaubensgerüst hinein.
Der Erste Weltkrieg war ohne Frage ein Wendepunkt in der Geschichte. Mit ihm begann ein Zeitalter des totalen Kriegs, der Revolutionen und des Misstrauens in führende Persönlichkeiten. Die Geschehnisse liefern auch einen untrüglichen Beweis dafür, dass der Teufel aus dem Himmel vertrieben wurde.
Krieg und Leid: Wer wirklich dahintersteckt
Interessanterweise gehen Zeugen Jehovas davon aus, dass die Inthronisierung von Jesus Christus im Oktober stattfand. Die WTG schreibt, dass die erste Amtshandlung von Jesus Christus darin bestand, den Teufel aus dem Himmel zu werfen – also frühestens im Oktober 1914. Der erste Weltkrieg hingegen begann bereits am 28. Juli 1914.
Die Berechnung des Jahres 1914
Wie kommen nun Zeugen Jehovas auf dieses Datum, das solch eine zentrale Rolle in ihren Glaubenslehren spielt? Fragt man einen Zeugen Jehovas, wird er in der Regel seine Schwierigkeiten haben, auf Anhieb eine Erklärung zu liefern. Im Grunde ist der Zeuge darauf auch nicht selbst gekommen; das wäre er wahrscheinlich nie, denn diese Berechnung ist sehr komplex und leitet sich aus verschiedenen Bibeltexten ab, die im Grunde nichts miteinander gemeinsam haben. Die Frage ist, warum hat Gott daraus überhaupt ein Geheimnis gemacht, wenn er möchte, dass jeder Mensch gerettet wird? Warum ist es überhaupt wichtig, dass Datum einzugrenzen?
Es ist nicht eure Sache, über die Zeiten oder Zeitabschnitte Kenntnis zu erlangen, die der Vater in seine eigene Rechtsgewalt gesetzt hat.
Apostelgeschichte 1,7
Mit diesem Text im Sinn, den die WTG des Öfteren zitiert, möchte ich einmal die Berechnung des Jahres 1914 näher erklären.
„Jerusalem wird von den Nationen zertreten werden“
Laut Lukas 21,24 sagte Jesus:
[…] und sie werden durch die Schärfe des Schwertes fallen und als Gefangene zu allen Nationen geführt werden; und Jerusalem wird von den Nationen zertreten werden, bis die bestimmten Zeiten der Nationen erfüllt sind.
Lukas 21,24
Die WTG sieht Jerusalem als Sinnbild für die Herrschaft Jehovas. Der letzte König Jerusalems, aus der Linie Davids bzw. des Reiches Juda, war Zedekia. Seine Herrschaft endete durch die Zerstörung Jerusalems in alter Zeit durch die Babylonier. Gemäß dem Buch Was lehrt die Bibel wirklich bezog sich Jesus mit der Aussage „und Jerusalem wird von den Nationen zertreten werden“ auf ebendiese Zerstörung. Der Kontext aus Lukas 21,20 zeigt allerdings, dass Jesus sich auf die Zerstörung in der Neuzeit (70 n. Chr.) bezog.
Die Zerstörung Jerusalems datiert die WTG auf das Jahr 607 v. u. Z. Dies war jedoch nicht immer so. Lange Zeit – ungefähr 60 Jahre lang – schrieb die WTG, dass die Zerstörung im Jahr 606 v. u. Z. stattfand. Doch dazu komme ich im weiteren Verlauf des Textes noch einmal zurück.
Zusammenfassung
- Zerstörung Jerusalems im Jahr 607 v. u. Z.
Lukas 21,24: „Jerusalem wird von den Nationen zertreten werden“
„Jesus als König eingesetzt“
In Hesekiel 21,27 heißt es:
27 In Trümmer, Trümmer, Trümmer werde ich es legen. Auch was dies betrifft, es wird gewiß [niemandes] werden, bis der kommt, der das gesetzliche Recht hat, und ihm will ich [es] geben.“
Hesekiel 21,27
Die WTG schreibt hierzu:
Das „Zertreten“ würde also enden, wenn Jesus als König eingesetzt werden würde.
Was lehrt die Bibel wirklich
Wir sprechen also von einem Zeitraum von der Zerstörung Jerusalems, bis hin zur Inthronisierung von Jesus Christus im Himmel. Die Zeit dazwischen interpretiert die WTG anhand von Lukas 21,24 als die „bestimmten Zeiten der Nationen“. Die Dauer dieses Zeitraumes bezieht die WTG aus Daniel 4,10-16. Dort ist die Rede von einem Traum, den der König von Babylon – Nebukadnezar II. – hatte.
Zusammenfassung
- Zerstörung Jerusalems im Jahr 607 v. u. Z.
Lukas 21,24: „Jerusalem wird von den Nationen zertreten werden“ - Jesus wird im Jahr x als König eingesetzt
Hesekiel 21,27: „wenn Jesus als König eingesetzt werden würde“
„Sieben Zeiten“
In Daniel 4 wird beschrieben, dass Nebukadnezar von einem Baum träumte, der riesig war und „er war bis ans äußerste Ende der ganzen Erde sichtbar“. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Erde flach sein müsste, um einen Baum vom äußersten Ende der Erde sehen zu können.
Im Traum wurde der Baum umgehauen und durch einen Ring aus Eisen und Kupfer daran gehindert weiter zu wachsen. Ein Engel teilte dem König mit, dass daraufhin „sieben Zeiten“ vergehen würden.
Die WTG schreibt, dass das Umhauen des Baumes, Gottes Herrschaft durch die Könige Jerusalems symbolisiert.
Der Kontext zeigt allerdings, dass der Baum niemand anderen als König Nebukadnezar selbst darstellte:
Der Baum, den du erblicktest, der groß und stark wurde […] der bist du, o König […]
Daniel 4,20-22
Zudem heißt es am Ende der Deutung des Traumes:
All dies widerfuhr Nebukadnẹzar, dem König.
Daniel 4,28
Es hat sich also, gemäß der Bibel, all das erfüllt, was Nebukadnezar im Traum sah. Die WTG hingegen ist der Meinung, dass es sich hierbei um prophetische Worte handelt, die in Wirklichkeit die Herrschaft Gottes, vertreten durch seinen Sohn Jesus Christus, kennzeichnet, welche eine Zeit lang unterbrochen sein würde, bis „sieben Zeiten“ vorüber sind.
Um zu deuten, wie lange die „sieben Zeiten“ andauerten, bedient sich die WTG eines Textes aus Offenbarung 12,6 und 14:
Und die Frau floh in die Wildnis, wo sie eine von Gott bereitete Stätte hat, damit man sie dort tausendzweihundertsechzig Tage ernähre.
Offenbarung 12,6
Aber der Frau wurden die beiden Flügel des großen Adlers gegeben, damit sie in die Wildnis an ihre Stätte fliege; dort wird sie für eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit fern vom Angesicht der Schlange ernährt.
Offenbarung 12,14
Vers 6 spricht von 1.260 Tagen. Der Vers 14 bezeichnet diese als 3,5 Zeiten. Demnach wären „sieben Zeiten“ 2.520 Tage. Das sind rund sieben Jahre. Sieben Jahre sind allerdings zu kurz um auf ein Datum zu gelangen, dass im 20. Jahrhundert liegt. Daher verwendet die WTG zusätzlich noch 4. Mose 14,34 und Hesekiel 4,6 und meint, dass in der Bibel, Tage oft auch für Jahre stehen (Man hätte auch 2.Petrus 3,8 verwenden können, wo ein Tag für 1.000 Jahre steht). Wir erinnern uns vielleicht an William Miller, zu Beginn des Artikels, der ebenfalls das Tag-Jahr-Prinzip anwandte um auf ein bestimmtes Datum zu gelangen. Doch Zeugen Jehovas wandten nicht nur das gleiche Prinzip wie Miller an, sie griffen auch auf seine Berechnung der „sieben Zeiten“ zurück.
Wir fassen also zusammen: Der Baum der umgehauen wurde, stellt gemäß der WTG die Zerstörung Jerusalems dar. Von da an sollen 2.520 Jahre vergehen, bis Jesus als König unsichtbar wiederkehrt.
Da 1914 bereits als bedeutsames Jahr feststand, rechnete man 2.520 zurück und kam auf das Jahr 606 v. u. Z. Wie ich bereits erwähnte, glaubten Zeugen Jehovas über 60 Jahre lang, dass die Zerstörung Jerusalems im Jahr 606 v. u. Z. stattfand. Allerdings übersahen sie, dass das Jahr Null nicht mitgerechnet werden kann. In dem Buch Die Offenbarung Ihr großartiger Höhepunkt ist nahe! wurde dieser Fehler thematisiert.
In der Fußnote ist folgendes zu lesen:
Durch eine höhere Fügung hatten die Bibelforscher nicht verstanden, daß es zwischen „v. Chr.“ und „n. Chr.“ kein Jahr Null gibt. Später, als Forschungen ergaben, daß eine Änderung von 606. v. Chr. auf 607 v. Chr. nötig war, wurde auch das Jahr Null fallengelassen, so daß die Voraussage für das Jahr „1914 n. Chr.“ weiterhin zutraf.
Eines muss man der WTG lassen, sie waren 1943 unheimlich ehrlich. Denn hier steht nichts anderes, als dass man bereit war, die historischen Beweise zur Zerstörung Jerusalems zu ignorieren, ja dass es ihnen eigentlich egal war, wann Jerusalem zerstört wurde. Wichtig war nur, dass die „Voraussage“ für das Jahr 1914 bestehen bleibt. Doch diese Voraussage stammt nicht aus der Bibel, sie stammte von einem Mann, der anhand falscher Maßangaben der Cheops-Pyramide, einen Eingriff Gottes ankündigte. Heute schreibt die WTG, dass Russell große Veränderungen für das Jahr 1914 voraussagte. Was in Verbindung mit dem ersten Weltkrieg auch recht gut passt. Daher war man eher bereit ein biblisches Ereignis – die Zerstörung Jerusalems – zu verschieben als sich von diesem Jahr zu lösen.
So geht die WTG heute davon aus, dass die Zerstörung Jerusalems im Jahr 607 v. u. Z. stattfand. Doch dieses Jahr ist mittlerweile genauso wenig haltbar wie die falschen Maßangaben in der Cheops-Pyramide. Sämtliche Historiker sehen es heute als erwiesen an, dass Jerusalem im Jahr 587 v. u. Z. zerstört wurde. Ich empfehle dir hierzu meinen Artikel 607 v. u. Z. – Das Fundament der Zeugen Jehovas hinterfragt.
Zusammenfassung
- Zerstörung Jerusalems im Jahr 607 v. u. Z.
Lukas 21,24: „Jerusalem wird von den Nationen zertreten werden“ - Jesus wird im Jahr x als König eingesetzt
Hesekiel 21,27: „wenn Jesus als König eingesetzt werden würde“ - Der umgehauene Baum steht für die Zerstörung Jerusalems
„Bäume sind in der Bibel oft ein Sinnbild für Herrschaft (Hesekiel 17,22-24; 31,2-5).“ - „sieben Zeiten“ (2.520 Tage) sollen vergehen bis Jesus als König eingesetzt wird
Offenbarung 12,6 u. 14 - Ein Tag steht für ein Jahr; 2.520 Tage = 2.520 Jahre
4. Mose 14:34 und Hesekiel 4:6 - 607 v. u. Z.: Jerusalem wird zertreten; 2.520 Jahre bis 1914
Lukas 21,24: „bestimmten Zeiten der Nationen“ enden
Es ist nicht nur so, dass die Berechnung des Jahres 1914 sehr weit hergeholt scheint. Jeder einzelne Punkt ist für sich absolut fraglich und entspringt einzig und allein der Interpretation von Menschen. Die Leitende Körperschaft oder die Präsidenten, wie J. F. Rutherford, sind und waren nach eigener Aussage weder inspiriert noch unfehlbar:
Die leitende Körperschaft ist weder von Gott inspiriert noch unfehlbar. Aus diesem Grund kann sie sich in Lehrfragen oder in organisatorischen Anweisungen irren.
Wer führt Gottes Volk heute?, Abs. 12
Doch wer die Berechnung für das Jahr 1914 offen anzweifelt, der muss damit rechnen ausgeschlossen zu werden, da er Kritik an der selbsternannten Leitenden Körperschaft ausübt.
Keine Erfindung der Wachtturm-Gesellschaft
Die Berechnung der Zeugen Jehovas in Bezug auf das Jahr 1914 war keine Erfindung der Wachtturm-Gesellschaft oder des Gründers Charles Taze Russell. Im Jahr 1847, noch vor der Geburt Russells, veröffentlichte Edward P. Elliot in seinem Buch Ein Kommentar zur Apokalypse folgendes:
Of course if calculated from Nebuchadnezzar’s own accession and invasion of Judah, B.C. 606, the end is much later, being A.D. 1914 […]
A commentary on the apocalypse
Der Adventist Nelson H. Barbour hat im Januar 1874, noch bevor er und Russell sich trafen, folgendes veröffentlicht:
I believe that though the gospel dispensation will end in 1878, the Jews will not restore to Palestine, until 1881; and that the „times of the Gentiles,“ viz. their seven prophetic times, of 2520, or twice 1260 years, which began where God gave all, into the hand of Nebuchadnezzar, 606 B. C.; do not end until A. D. 1914; or 40 years from this.
Nelson H. Barbour im Herold Of The Morning Januar 1874, S. 52
Russell bediente sich letztendlich nur bei seinen Vorgängern. Speziell bei dem Adventisten Barbour, mit dem er eine Zeit lang zusammenarbeitete. Gemäß der WTG soll Jesus im Jahr 1919 die Zeugen Jehovas – damals noch ernste Bibelforscher genannt – als seine Organisation auf Erden auserwählt haben, weil er sie angeblich für „treu“ befand. Aus der damaligen Millerbewegung sind neben den Zeugen Jehovas weitere Gruppierungen entstanden, die sich ebenfalls, wie Russell, auf die Daniel-Prophezeiung stützen. Anhänger kleinerer christlicher Gruppen verweigerten ebenso den Militärdienst und missionierten über eigene Publikationen und Radiostationen.
Zeugen Jehovas sehen ihr Wachstum seit 1919 als Beweis, dass Gott hinter ihnen steht – heute rund 8 Millionen Mitglieder. Doch Adventisten, welche ungefähr zur gleichen Zeit entstanden, zählen heute rund 20 Millionen Anhänger. Auch Mormonen, Baptisten und andere Gruppierungen, die im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahmen, zählen heute mehr Anhänger. Viele dieser christlichen Sondergruppierungen sehen sich allein als von Gott berufen. Letztendlich ist dies aber einfach nur ein Anspruch den sie für sich selbst erhoben haben.
Die Frage die oft gestellt wird, und die ein Ältester bei unserem Ausstieg in den Raum stellte, ist: „Wir sind an der Wahrheit am dichtesten dran. Wenn nicht wir, welche andere Religion soll es denn sonst sein?“ Diese Frage zu stellen, während man bei Zeugen Jehovas aufwuchs und nichts anderes so intensiv kennenlernte, ist schon für sich zweifelhaft. Doch was bleibt, wenn das Jahr 1914 wegbricht?
Was übrig bleibt
Raymond Franz schrieb in seinem Buch Der Gewissenskonflikt über das Jahr 1914:
Aber man nehme einmal das Jahr 1914 und seine behauptete Bedeutung fort, und die Grundlage ihrer ganzen Macht löst sich weitgehend in Luft auf.
Der Gewissenskonflikt, 1914 und „diese Generation“, S. 240
Er bezog sich hierbei auf den Machtanspruch der selbsternannten Leitenden Körperschaft. Inwiefern hängt dieser mit 1914 zusammen?
In den Jahren nach der Aufrichtung des himmlischen Königreiches im Jahr 1914 wurde Gottes Volk geprüft und geläutert. 1919 setzte Jesus dann den „treuen und verständigen Sklaven“ über Gottes gereinigtes Volk ein, um diesem geistige „Speise zur rechten Zeit“ zu geben.
Wann wurde Gottes Volk von Babylon der Großen gefangen gehalten?
Jesus wurde laut der WTG 1914 als König eingesetzt und suchte sich 1919 seine Organisation auf Erden aus – genauer gesagt, den „treuen und verständigen Sklaven“. Lange Zeit galten alle „Gesalbten“ zu dieser Gruppe. Im Jahr 2013 gab es „neues Licht“ und die Leitende Körperschaft beanspruchte diesen Titel für sich allein:
Setzt sich der treue Sklave aus allen geistgesalbten Christen auf der Erde zusammen? Nein. […] Dabei gilt zu beachten, dass das Wort „Sklave“ in Jesu Gleichnis in der Einzahl steht, was auf einen kollektiven Sklaven hindeutet. Ihre Entscheidungen trifft die leitende Körperschaft somit gemeinsam.
„Wer ist in Wirklichkeit der treue und verständige Sklave?“
Ohne 1914 gäbe es keine Leitende Körperschaft.
Doch auch andere Lehren verlieren ihre Grundlage. Die Generationslehre, welche die WTG mit Matthäus 24,34 begründet, besagte lange Zeit, dass die „Gesalbten“, die 1914 bewusst erlebten nicht sterben würden bis Harmagedon kommt. Mittlerweile ist die Rede von einer „überlappenden Generation“. Diese besagt, dass die „Gesalbten“, die heute noch am Leben sind und sich mit denjenigen von 1914 überlappt haben, nicht sterben werden bis Harmagedon kommen würde. All dies löst sich ohne das Jahr 1914 in Luft auf. Gleiches gilt auch für den Beginn der „letzten Tage“, die 1914 begonnen haben sollen. Die Warnung, die Erde würde bald von Gott „gereinigt“ werden, was letztendlich den Tod für Milliarden Menschen bedeuten würde, und welche die Zeugen Jehovas an den Türen verbreiten, wäre ohne 1914 nichts wert.
Was übrig bleibt ist eine Gruppe die im 19. Jahrhundert (1881), unter anderem neben Mormonen (1838), Siebenten-Tags-Adventisten (1863), Neuapostolische Kirche (1863) sowie Baptisten in Europa (1834) ihren Anfang nahm und heute von sieben Männern geführt wird, die es irgendwie schaffen müssen ihre Anhänger bei Laune zu halten, während es immer schwerer wird das Jahr 1914 auch für den treusten Zeugen plausibel am Leben zu erhalten.
Der Wunsch ewig zu Leben und dem Tod zu entrinnen hat damals viele Menschen angesprochen. Und ihnen blieb meist nichts anderes übrig, als daran zu glauben oder eben nicht. Sie konnten die Dinge, die man ihnen weiß machen wollte, nur schwer gegenprüfen. Dank dem Internet und der damit verbundenen Aufklärung werden destruktive Gruppen es allerdings immer schwerer haben sich zu erhalten oder gar neu zu bilden.
Seit 1914 sind mittlerweile mehr als 100 Jahre vergangen. Seit 1799, damals noch gemäß dem Gründer der Zeugen Jehovas, der Beginn der „letzten Tage“, sind mehr als 200 Jahre vergangen. Wie lange sich die WTG noch an dieses Jahr klammern wird, bleibt fraglich. Vielleicht erfinden sie sich eines Tages neu. Bis dahin bleibt zu hoffen, dass sich noch viele Menschen, die dieses Datum in einem unsichtbaren Gefängnis hält, befreien können.
Reaktionen zu diesem Beitrag
Jan-Patrick Fritzsche sagt:
Hier ist aber der absolut eindeutige Beweis einer überlappenden Generation zu finden : http://www.zeit.de/wissen/2017-11/aegypten-hohlraum-cheops-pyramide-gizeh
Miriam sagt:
Die Anfänge der Baptisten reichen sogar ins frühe 17. Jahrhundert zurück. 1834 dann in Hamburg „meine Gemeinde“ gegründet. Baptisten stehen seit Beginn an für Religions- und Gewissensfreiheit ein, daher die Trennung von Kirche und Staat. Baptistengemeinden sind autark, jede Gemeinde organisiert sich selbst, d.h. es gibt keine „allgemeine Lehre“, die für alle gilt. Der Glaube allein wird auf Jesus Christus begründet (und der Bibel). Er allein ist der „Weg und die Wahrheit und das Leben“. Daher kann ich deinem Satz „Jede dieser christlichen Sondergruppierungen sieht sich als von Gott berufen“ nicht zustimmen (wenn du es so meintest, dass sie sich für allein berufen halten). Denn Baptisten tun dies nicht (höchstens Einzelne vielleicht). Sie halten sich nicht für allein seelig machend. Das „Etikett Baptisten“ bringt einem somit gar nichts. So habe ich es immer erlebt und bin dankbar für’s kritische Hinterfragen dürfen.
Oliver Wolschke sagt:
Hi Miriam,
vielen Dank für deinen Kommentar und deinen Hinweis. Ich kenne die Bewegung der Baptisten zu wenig, um hier Einwände zu erheben. Daher habe ich den Satz etwas diplomatischer gestaltet.
VG Oli
Miriam sagt:
Hi Oliver,
schon besser ;). Obwohl ich immer noch das Gefühl habe, dass man anhand des Satzes, Mormomen und Baptisten in einen Topf wirft. Als Sondergruppierung würde ich Baptisten auch nicht unbedingt ansehen. Es ist die größte Freikirche Deutschlands und eine der größten protestantischen Kirchen der Welt. Also, gar nicht mal so klein (in Deutschland vielleicht).
Willi Bühler sagt:
Hi Oliver, dein Artikel über das Jahr 607 und 1914 ist spitze; leider habe ich das zu spät geschnallt oder begriffen und bin auf ein blondes Mädchen hereingefallen, das mich im Jahre 1969 zu den Zeugen Jehovas lockte. Ich schmiss mein Ingenieurstudium hin, denn man versicherte mir allen ernstes, dass in der „Neuen Welt“ keine Ingenieure mehr gebraucht würden. Ich begann die Bibel zu studieren, wurde ein Zeuge Jehova und wartete auf das „Neue System“. Ich wollte schließlich Harmagedon überleben. Heute, im 43ten Jahr nach Harmagedon, weiß ich, dass ich hinters Licht geführt wurde. Ich bin einer Fatamorgana nachgelaufen; ich und tausende wurden getäuscht! Dabei sagt 5 Mose 18:22, dass, wenn ein Prophet etwas im Namen Jehovas kundtut und es nicht eintrifft, ein falscher Prophet ist, er verkündet Märchen. Leider bin ich auf so ein Märchen hereingefallen und habe mein Leben vermurkst.
Willi
Bernd Buerschaper sagt:
Nein, Willi, ich finde Du hast Dein Leben ganz und gar nicht vermurkst. Es stimmt zwar, das die ZJ mit ihren Datumsangaben viel Verwirrung gestiftet haben, aber ansonsten sind sie eine sehr integre Christengemeinschaft, die den Menschen hilft, einen nachhaltigen Zugang zu Gott Jehova zu finden. Wenn ich mir anschaue, wieviel unendlichen Mist die Staatskirchen den Menschen erzählen, dann ist man bei den ZJ bestens aufgehoben.
Ich selbst bin kein ZJ. Ich finde sie allerdings vorbildhaft und ansonsten sehr glaubwürdig.
tomtom sagt:
nur weil die Staatskirchen viel Murks erzählen, macht das die ZJs nicht besser.
Anonymous sagt:
Danke sehr für diesen sehr aufschlussreichen und gut recherchierten Artikel. Er und weitere bestärken mich darin das richtige getan zu haben und bei den Zeugen auszutreten. Vielen Dank für deine Mühe. LG.
Gregorius sagt:
einmal ist im Text 1913 gemeint und 2013 geschrieben:
Im Jahr 2013 gab es „neues Licht“ und die Leitende Körperschaft beanspruchte diesen Titel für sich allein:
Miki sagt:
Hallo Olivier kannst du mich auf meine E-Mail schreiben muss dir was schicken Lg michel ist dringend
Dieter Hornemann sagt:
Liebe Miterfahrene der Zeugen Jehovas, analysiert bitte mal, wie sich Gott selbst in den Bibelbüchern präsentiert, nämlich als sadistischer Vernichter seiner eigenen Schöpfung.
Urs Wenger sagt:
Als „Ehemaliger“ seit über 50 Jahren stosse ich mich seit meinem Rückzug je länger desto mehr an der Tatsache, dass der angeblich so barmherzige und liebende Gott Jehova nur eine einzige Strategie kennt, um die von ihm geschaffenen Geschöpfe hinter sich zu scharen: „Entweder ihr tut, was ich Euch sage, oder ich schlachte Euch ab“. Nicht bloss im alten Testament wurde jeder brutal zu Tode gebracht, der nicht genau das tat, was Jehova von ihm erwartet hat; nein, auch im neuen Testament endet alles mit der grossen Schlacht von Armageddon, wo erneut jeder und jede, der/die nicht bedingungslos Jehova und seinem Sohn Christus gehorcht, abgeschlachtet wird.
Diesem angeblich so barmherzigen Gott wäre es nie in den Sinn gekommen, bei uns Menschen im Gehirn einen kleinen „Schalter“ umzulegen, damit wir nicht anderen – und oft auch uns selbst – weh tun. Nein, Jehova und sein Sohn Christus bestrafen den Mangel an bedingungsloser Unterwerfung und Gehorsam mit dem Tod, sei es durch Abschlachten in der grossen Schlacht von Armageddon oder dass Tote nicht auferstehen werden.
In jeder guten Schule versucht man heutzutage Kindern mit viel Überzeugungskraft beizubringen, Konflikte nicht mit Gewalt sondern friedlich zu lösen. Aber ausgerechnet die zwei höchsten Figuren der Zeugen Jehovas und zahlreicher ähnlich gelagerter Glaubensgemeinschaften geben dazu das schlechteste Beispiel ab.
Anonymous sagt:
Die Deutungen der Prophetischen Zeitrechnungen in der Bibel von William Miller haben übrigens nichts mit den Berechnungen von Charles Taze Russell und seinen Nachfolgern zu tun!!!