Gedankenkontrolle verstehen: Ein Blick hinter die glückliche Fassade

© Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania

Man muss wissen, wie man falsche Vorstellungen anderer anspricht und womöglich muss man dies auch Mitgliedern von Kulten erläutern. Um zu helfen, habe ich zehn der typischsten Irrtümer bezüglich der Gedankenkontrolle aufgegriffen.

Dieser Artikel ist der Dritte aus der Reihe „Falsche Ansichten widerlegen“.

Irrtum #3: „Warum sollte ich handeln? Er sagt das er glücklich ist!“

Mitglieder des Heavens Gate-Kults nahmen ein Abschiedsvideo auf, in dem sie erklärten warum sie sich entschieden hatten, ihre „Hüllen“ hinter sich zu lassen und Suizid zu begehen. Sie alle sprachen davon, dass sie glücklich waren und diese Entscheidung aus freien Willen trafen. Ihnen wurde erzählt, dass die Erde durch Feuer zerstört würde und sie durch ein Raumschiff „evakuiert“ würden. Nimm dir einen Moment und schau dir das Video an, dass auf YouTube gepostet wurde.

Aus meiner Erfahrung heraus betrachte ich es als Wunschdenken, wenn man der Aussage eines Kultmitgliedes Wert beimisst, dass sie „glücklich“ sind. Als ich bei den Moonies war, wurde mir eingeschärft immer glücklich gegenüber Außenstehenden aufzutreten, um ein „gutes Zeugnis“ abzugeben. Außerdem ist in einem Kult Glück oft als Aufopferung oder Entsagung definiert.

Glück wurde bei Heaven‘s Gate als Überwindung der Individualität und Menschlichkeit definiert und Suizid war der Schritt zur nächsten Ebene der eigenen Existenz. Die tödlichen Pillen mit Apfelmus und Wodka einzunehmen und dabei eine Plastiktüte über den Kopf zu stülpen, wurde als notwendiger Schritt der Metamorphose wahrgenommen. Die Kultidentität war „glücklich“ zu sterben. Für die Mitglieder von Heaven’s Gate war die Weigerung zur Selbsttötung der Suizid, da es die Weigerung wäre, eine höhere Ebene zu erreichen.

Aber, wie wir gesehen haben, wird diese Kultidentität durch raffinierte Gedankenkontrolle erzeugt und stellt nicht das gesamte Individuum dar.

Lass dich nicht durch eine Maske des Lächelns täuschen, welche durch emotionale Blockadetechniken entstehen kann. Bedenke, Mitglieder werden dazu angehalten, die eigenen negativen Gedanken und Gefühle zu unterdrücken. Sie sind darauf konditioniert, über ihre Gruppenzugehörigkeit nur positiv zu berichten. Wenn daher ein Kult-Mitglied berichtet, dass es „glücklich“ ist, ist es meist die Kult-Identität die aus ihm spricht. Das Kult-Selbst tut, was es gelernt hat zu tun. Immer wenn ich ein Kult-Mitglied frage, ob es glücklich ist und „Ja!“ als Antwort erhalte, stelle ich eine weitere Frage: „Würdest du mir erzählen, wenn du unglücklich wärst?“ Danach räume ich eine lange Pause ein und beobachte den Gesichtsausdruck.

Als ich im Kult war, erzählte ich jedem das ich in meinem ganzen Leben nie glücklicher war. Wenn du ein Moonie bist, dann macht es dich glücklich nahe bei Gott zu sein und Gott ist als leidendes Paar definiert. Daher, umso mehr du Gottes leidendes Herz und seine Opfer fühlst, umso glücklicher bist du. Entsprechend dieser orwellschen Logik, ist Leiden Glück. Als Moonies wurde uns auch beigebracht alle negativen Gefühle und Gedanken zu unterdrücken, so, dass wir uns glücklich fühlten. Uns war es verboten, etwas Anderes zu fühlen. Wenn diese Gefühle kamen, wurden wir gegeißelt und zur Umschulung gesandt.

Realitätsprüfung

Meiner Erfahrung nach, sind Familie und Freunde gut beraten, solche Aussagen nicht ohne eine Untersuchung der tieferliegenden Ursachen zu akzeptieren. Dies ist der Zeitpunkt für einen Realitätstest. Falls ein potentielles Mitglied einer „Helfergruppe“ Zweifel hat zu helfen, weil „das Kult-Mitglied sagt das es absolut glücklich ist“, dann solltest du es bitten diese Aussage mit den folgenden Fragen aus Sicht des Betroffenen zu prüfen:

  • Was meinst du, wenn du sagst glücklich?
  • Wenn du unglücklich wärst, wärst du in der Lage dies dir selbst einzugestehen?
  • Würdest du es uns erzählen, wenn du unglücklich bist?
  • Was müsste geschehen, dass du dich unglücklich genug fühlst, die Gruppe zu verlassen?

Anmerkung: Die Artikelserie erschien zuerst hier: https://freedomofmind.com/errant-beliefs-complete-series/ und wurde mit freundlicher Genehmigung vom Autor – Steven Hassan – für eine Übersetzung freigegeben. Frei übersetzt von Sebastian.

Reaktionen zu diesem Beitrag

  1. Eva-Maria Hildebrand sagt:

    Keiner im Kult gibt zu, dass er unglücklich ist. Ich habe es nur privat meinem „weltlichen“ Mann gegenüber geäußert.
    Ich fand es fürchterlich einmal in der Woche um 19 Uhr das Haus verlassen zu müssen. Weil ich gegen meinen Willen handelte. Bin ein Abendmuffel.. Das erwartete Antwortgeben in den Zusammenkünften musste ich mir durch eine Psychotherapie erarbeiteten. Nach jeder Antwort hatte ich schwere Rückenschmerzen.
    Ich habe mich eigentlich nur rumgequält und musste mich ständig vergewaltigen.

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  2. Kerstin sagt:

    Super zutreffender Text! Genauso ist es. Kann mich gut an meine Zeit im Revival Fellowship erinnern – ein gutes Zeugnis nach aussen war Pflicht. Ging soweit, dass sich die meisten selbst belogen.

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  3. Dai sagt:

    Was ist Glück überhaupt? Jeder definiert Glück bestimmt auf seine eigene Weise… Ich war und bin noch dabei, aber Spaß hat mir das Ganze eher selten gemacht. Wow, jetzt ist es raus – sehr befreiend… Ich finde, dieses blöde Frage – Antwort – Spielchen (Wachturm-Studium) ist so ermüdend, immer dasselbe, alles wiederholt sich, immer dasselbe, alles wiederholt sich (ja, die Wiederholung ist beabsichtigt). Ich musste mich auch selber ermuntern, in die Versammlung zu gehen, auch wenn ich direkt von der Arbeit zum Saal bin. Ich zog mich schnell im Klo um, quetschte mich in den unliebsamen Rock und machte gute Miene zum… wie auch immer. Schön, dass ich da bin, bekam ich nie oder kaum zu hören; eher Kritik, weil ich 2 Minuten zu spät war. Könnte ich nicht meine Arbeitszeit verringern, damit ich mehr Zeit für wirklich Wichtiges habe und mehr Zeit im Dienst verbringen kann?! Dann komme ich eben gar nicht mehr, dachte meine rebellische Seele. Doch Jehova freut sich, wenn ich da bin. Auch Freude im Dienst habe ich nie verspürt, okay, vielleicht ein oder zwei Mal, aber der Rest war eine Qual. Ich schwamm mit dem Strom, weil man das als braver Verkündiger eben so macht, oder?! Es gibt bestimmt viele, die von Herzen gern in den Dienst (für Jehova) gehen, aber in mir kam diese Freude irgendwie nie auf. Ich war erleichtert, als die Zeit geschafft und ich wieder für eine Woche erlöst war. Ich bin ein kleiner Rebell, ich mag mich keinen unlogischen Regeln fügen, ich will mich nicht unterordnen – ich stehe mir oft selbst im Weg. Aber der Weg, zu ewigem Leben, ist schmal usw. usw. Ich mag mich nicht, wenn ich wie beknackt lächle und vorgebe, alles ist super und ich bin so glücklich ein Zeuge zu sein. Ich bin glücklich am Leben zu sein. Ich kann von Glück reden, dass ich auf meinen eigenen zwei Beinen durchs Leben spazieren kann. Ich bin froh über meine Freunde – ob Zeuge oder nicht. Ich bin glücklich, meine klitzekleine Familie zu haben. Ich sehe Jehova in jedem neuen Tag, in jedem Lebewesen; ob geschaffen oder evolutioniert (-> ja, dies habe ich echt geschrieben). Ich bin zufrieden, dass ich auch zugeben kann, wenn es mir scheiße geht und ich mal nicht glücklich bin. Ich wünschte, mehr Menschen, in der Versammlung und unter den Zeugen Jehovas allgemein, würden ihren Wünschen und wahren Bedürfnissen ein wenig mehr nachgehen (ein bisschen gesunder Egoismus). Man möchte Jehova dienen, gefallen, wohlgefällig sein, schon, aber nicht um jeden Preis, oder? Die neue Persönlichkeit anziehen, das ist so eine Sache. Mensch kann sich von Lastern befreien und ein besserer Mensch werden, aber komplett verbiegen und sich selbst verlieren, muss das echt sein, um wahres Glück zu finden? Ich bin glücklich, dass ich meine Meinung frei äußern durfte. Glück liegt für mich auch in einer guten Tasse Tee. Die kleinen Dinge zählen manchmal mehr, als der geballte Religionswahnsinn. Das Leben ist schon schwer genug: Ich mag Jehova, aber nicht alle Lehren, die einige Menschen mir aufzwingen wollen.

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