Eine Überprüfung der Königsliste und ihre Bedeutung für das Jahr 607 v.u.Z.

König Nabonid auf einer Steintafel

Eine Artikelserie der Wachtturm-Gesellschaft aus dem Jahr 2011 beschäftigt sich intensiv mit dem Jahr 607 v.u.Z., jedoch sollte man die Argumente und Argumentation etwas genauer prüfen.

Der Wachtturm stellt die Frage: Wenn die Geschichtsschreiber zuverlässig sind, warum stimmen ihre Angaben nicht überein?

Quelle: Wachtturm, 1. Oktober 2011

Dazu wird die abgebildete Tabelle verwendet. Um diese zu prüfen, sollte man diese neben die Angaben der WTG legen, welche in diesem Artikel dargestellt sind. 

Und da liegt auch eines der zentralen Probleme: die WTG sagt immer wieder, dass die Überlieferungen und historischen Angaben fehlerhaft sind. Sie zeigt jedoch nirgends die Daten auf, die ihrer Meinung nach richtig wären. So kann sie einerseits alle historischen Belege negieren, ohne selbst kritisiert zu werden.

Da dies historische Texte sind, sollte man diese um weitere Informationen erweitern, um Irrtümer einfacher zu sehen – zumal man als Laie nur beschränkten Zugang zu Quellen hat. Im Jahr 1959/60 wurden verschiedene Dokumente ausgegraben, so auch die Königsliste von Uruk (W 20030, 105). Im Gegensatz zu dem ptolämäischen Königskanon, geben die Königslisten auch Monate an. Es gibt Belege dafür, dass der Königskanon von Ptolämaus wiederrum auf älteren Königslisten basiert.

Einzig auffällige Abweichung ist bei den Listen von Uruk die Zeit für Labaschi-Marduk. Hier geht die Fachwelt jedoch von einem Abschriftfehler Berrosus aus, da sich die Zeichen für 2 und 9 ähneln. Labaschi-Marduk war allem Anschein nach in der Stadt Uruk für Teile von drei Monaten als König akzeptiert, was durch weitere Quellen bestätigt wird.

1906 wurde in Haran eine Stele (Nabon. No. 24) ausgegraben, welche Nabonid offensichtlich für seine Mutter „Adad-guppi“ als Grabinnenschrift fertigen lies. Jedoch waren die chronologischen Daten dieser Stele stark beschädigt. Dies greift die WTG auch entsprechend im Wachtturm vom 1. Mai 1969 auf:

Auf einer Gedenktafel, die vermutlich für die Mutter oder Großmutter Nabonids geschrieben wurde, erscheinen Angaben für diesen Zeitraum. Der Text ist aber teilweise beschädigt, weshalb vieles der Deutung und den Mutmaßungen der Geschichtsschreiber überlassen blieb. Wie unvollständig der Text ist, kann der Leser selbst feststellen, wenn er beim Lesen der im nachstehenden wiedergegebenen Übersetzung eines Teils dieser Gedenkinschrift die in Klammern stehenden Worte wegläßt. Diese Wiedergabe zeigt, wie man versucht hat, fehlende, beschädigte oder unleserliche Teile zu rekonstruieren:

[Während der Zeit Assurbanipals], des Königs von Assyrien, [in] dessen [Regierungszeit] ich geboren wurde — (nämlich): [21 Jahre] unter Assurbanipal, [4 Jahre unter Assur]etil-ilani, seinem Sohn, [21 Jahre unter Nabupola]ssar, 43 Jahre unter Nebukadnezar, [2 Jahre unter Ewil-Merodak], 4 Jahre unter Neriglissar, [insgesamt 95 Jah]re, [war der Gott abwesend,] bis Sin, der König der Götter, [sich des Tempels erinnerte] . . . dieses [großen] Hauptgottes düsteres Gesicht [hellte sich auf], [und er hörte] auf meine Gebete, [vergaß] den grimmigen Befehl, [den er gegeben hatte, und beschloß, zurückzukehren z]u dem Tempel é-hul-hul, dem Tempel, [der Wohnung,] seines Herzens Wonne. [Über seine bevorstehende Rückkehr zu] dem [Temp]el [sagte] Sin, der König [der Götter (zu mir)]: ,Nabonid, der König von Babylon, der Sohn [meines Leibes], [wird mich] veranlassen, den Tempel é-hul-hul [wieder] zu betre[ten/mich niederzusetzen]!‘ Ich gehorchte sorg[fältig] den Befehlen, die [Sin], der König der Götter, erlassen hatte, (und deshalb) sah ich selbst, (wie) Nabonid, der König von Babylon, die Frucht meines Leibes, die vergessenen Riten des Sin wieder vollständig einführte . . .

Bei einer Ausgrabung im Jahr 1956 wurden drei weitere Stelen entdeckt, von denen eine genau dieselbe Inschrift enthält. Hier eine englische Übersetzung, welche etwas eher beginnt:

From the 2oth year of Assurbanipal, king of Assyria, that I was born (in)30. until the 42nd year of Assurbanipal, the 3rd year of Asur-etillu-ili,
31 .his son, the 2 I St year of Nabopolassar, the 43rd year of Nebuchadrezzar,
32. the 2nd year of Awel-Marduk, the 4th year of Neriglissar,
33. in 95 years of the god Sin, king of the gods of heaven and earth

Quelle

Interessanterweise stimmt die Rekonstruktion mit der zweiten Stele überein.

Nutzt man nun diese Angaben, kann man die Tabelle entsprechend erweitern. Nabonid fehlt natürlich, da er zu diesem Zeitpunkt Auftraggeber war und laut der Stele in seinem 9. Jahr.

Diese Liste soll einen kleinen Teil der Historiker mit historischen, physischen Quellen verbinden, um die Aussagen der WTG prüfen zu können. Sie schreibt:

Darf man angesichts dessen die Berechnungen von Berossos wirklich als durchweg genau ansehen? Und wie ist es mit den anderen antiken Geschichtsschreibern, die ihre Chronologien größtenteils auf Berossos stützten? Kann man ihre historischen Schlussfolgerungen tatsächlich als zuverlässig einstufen? (Zitat aus o.g. WT)

Schauen wir doch einfach, was über Polyhistor gesagt wird:

Wir sind heute auf eine neuzeitliche lateinische Übersetzung einer armenischen Übersetzung des verlorengegangenen griechischen Originals der Chronik des Eusebius angewiesen, der als Quelle zum Teil die Schriften des Alexander Polyhistor, dem die Schriften des Berossos als Quelle dienten, benutzte und zum Teil die Schriften des Abydenus, dem offenbar die Schriften des Juba als Quelle dienten, der seinerseits die Schriften des Alexander Polyhistor und somit die des Berossos als Quelle benutzte.
IT-1 S. 483 Chronologie

Polyhistor lebte über 300 Jahre nach Berrossos und schrieb von ihm ab. Warum sollte man sich in dem Fall für die Kopie entscheiden, statt für das Original? Man darf nicht vergessen, dass die Herrscherwechsel nicht nach vollen 12 Monaten erfolgten und einige Historiker nur volle Jahre zählten.

Doch lassen wir das Einsichtenbuch entscheiden:

Nach einer von Josephus erwähnten Angabe des Berossos regierte Ewil-Merodach zwei Jahre. Josephus selbst schreibt ihm 18 Jahre zu. Ewil-Merodach wurde angeblich im Zuge einer Verschwörung ermordet und von Neriglissar (Nergal-Sarezer) abgelöst. Eine zuverlässige Bestätigung dieser Einzelheiten fehlt jedoch.
IT-1 Ewil-Merodach

Und hier finden wir gleich eine zweite Aussage die der Tabelle widerspricht: Josephus stützt sich auf die Angabe des Berrosos. Es wird demnach mit zwei unterschiedlichen Aussagen gearbeitet. Daher ergänze ich mal die Angaben der WTG in der Tabelle.

Amil-Marduk (Ewil-Merodach) herrschte kein volles Jahr und wird daher nur in Quellen erwähnt, welche Monate statt Jahre angeben. Wie zuvor erwähnt, muss man von einem Übersetzungsfehler Berrosos ausgehen, womit kein wirklicher Widerspruch existiert.

  • Widerspruch
  • Erklärung möglich
  • Widerspruch innerhalb der Angaben der ZJ
  • übereinstimmend

Wie man sieht, bleiben zwei Widersprüche. Einerseits bei der Angabe Polyhistors, welche die WTG selbst mit zwei Jahren angibt und so ziemlich allen anderen Quellen folgt und die Angabe zu Neriglissar. Auch hier findet man Aussagen in der Literatur:

Ewil-Merodak wurde nach einer zweijährigen Regierungszeit von seinem Schwager Neriglissar ermordet. Neriglissar regierte vier Jahre und war während dieser Zeit hauptsächlich mit Bauunternehmen beschäftigt.
Wachtturm, 1. März 1965, S. 157

Der Widerspruch welcher hier aufgezeigt werden soll, ist eindeutig ein Strohmann-Argument, da es mit nur wenig Recherche selbst innerhalb der Literatur der WTG dazu Aussagen gibt, welche mit den Historikern einhergehen.

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